Kampf gegen das Coronavirus: Schweizer Ingenieurtechnik spielt dank Personenfreizügigkeit Schlüsselrolle
In Krisenzeiten wird einem wieder stärker vor Augen geführt, von welcher Wichtigkeit eine gute Beziehung zu benachbarten Ländern ist. So spielen bekanntlich Ärztinnen, Pflegefachkräfte und Laboranten eine zentrale Rolle im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Um sie mit allen erforderlichen Materialien und Instrumenten auszustatten, ist die Schweiz wie andere Länder auf Importe angewiesen. Gleichzeitig kommt der Schweizer Ingenieurtechnik bei der globalen Bekämpfung des Coronavirus eine grosse Bedeutung zu. Denn rasch geht vergessen, dass Ingenieure nicht nur in den klassischen Disziplinen Maschinenbau, Bau oder Elektrotechnik tätig sind. Zahlreiche Fachkräfte arbeiten auch in interdisziplinären Wissenschaftsbereichen wie beispielsweise der Medizinaltechnik, der medizinischen Biotechnologie oder der Chemietechnik.
Hamilton Beatmungsgeräte weltweit gefragt
Gerade die Medizinaltechnik hat in der aktuellen Pandemie eine elementare Funktion inne. Bei schweren Krankheitsverläufen müssen Corona-Patienten auf den Intensivstationen der Spitäler oftmals an Beatmungsgeräte angeschlossen werden. Diese gehören zurzeit jedoch zu den knappen Gütern und sind auf dem Weltmarkt extrem begehrt. Um den Mangel an Beatmungsgeräten in der Schweiz zu beheben, hat der Bund im März 900 zusätzliche Geräte bei der Bündner Firma Hamilton Medical AG aus Bonaduz bestellt. Die ersten 50 Stück wurden direkt per Helikopter ins stark betroffene Tessin geflogen. Da die Tochtergesellschaft des US-Konzerns Hamilton Company zu den Weltmarktführern im Nischenmarkt der Beatmungsgeräte gehört, beabsichtigt die Firma, ihre Produktion bis Ende April zu verdoppeln. Trotzdem reichen die in der neuen Fabrik in Domat/Ems gefertigten Geräte bei weitem nicht aus, um den weltweiten Bedarf abzudecken. Das Beispiel von Hamilton zeigt auf, wie wichtig Ingenieure sind, die medizinaltechnische Gerätschaften und Produkte entwickeln, seien es nun Beatmungsgeräte, Computertomographen oder auch Infusionspumpen.
Roche setzt neue Massstäbe bei Testverfahren
Neben der Medizinaltechnik sind auch biotechnologische Verfahren in der medizinischen Diagnostik entscheidend für eine effektive Pandemiebekämpfung. Je mehr und je zuverlässiger getestet werden kann, desto grösser ist die Chance, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dem Basler Pharmakonzern Roche ist es Mitte März als eine der ersten Firmen weltweit gelungen, eine US-Zulassung für einen vollautomatisierten Coronavirus-Test zu erhalten. Mithilfe der bereits weit verbreiteten Roche-Diagnostikgeräte und den neu erstellten Coronavirus-Test-Kits ist es nun möglich, innerhalb von 24 Stunden bis zu 4’000 Proben auf das Virus zu testen. Dank des neuen Verfahrens konnten die Testkapazitäten gegenüber früheren manuellen Methoden etwa verzehnfacht werden. Dies führte zu einer massiven Entlastung der Gesundheitssysteme und des medizinischen Personals. Mittlerweile stehen auf der ganzen Welt 40'000 Cobas-Analysemaschinen von Roche im Einsatz, darunter auch zahlreiche in der Schweiz. Biotechnologen von Roche arbeiten jetzt rund um die Uhr, um möglichst viele zusätzliche Analysemaschinen und Tests (ab Mai dann auch Antikörper-Tests) für die internationale Gemeinschaft bereitzustellen.
Personenfreizügigkeit lindert Ingenieurmangel
Hochqualifizierte Arbeitskräfte mit ingenieurwissenschaftlichen Kenntnissen sind für die Schweizer Medtech- und Biotech-Industrie, vor allem aber auch in den klassischen Ingenieursparten unverzichtbar. Dennoch ist der Fachkräftemangel im Ingenieurwesen traurige Realität. Gemäss eines im Jahr 2016 vom Staatssekretariat für Wirtschaft publizierten Berichts zum Fachkräftemangel in der Schweiz, ist dieser bei den Ingenieurberufen sogar am gravierendsten – noch vor Managern, Informatikern und den Gesundheitsberufen. Zudem ergab eine im gleichen Jahr durchgeführte Umfrage unter Schweizer Ingenieuren, dass fast 90 Prozent aller Unternehmen Schwierigkeiten haben, entsprechende Stellen zu besetzen.
Einer der Hauptgründe für den akuten Mangel besteht darin, dass im Inland zu wenige Ingenieure ausgebildet werden. Ferner steigt durch den technischen Fortschritt und den demografischen Wandel der Bedarf: Laut einer Studie der Universität Basel ist in der Schweiz langfristig mit bis zu 50'000 fehlenden Ingenieuren zu rechnen. Bisher konnte der Mangel dank der Personenfreizügigkeit wenigstens teilweise mit Fachkräften aus dem EU-Raum entschärft werden. Gleichwohl muss die Schweiz mithilfe von bildungspolitischen sowie über- und innerbetrieblichen Massnahmen versuchen, künftig mehr Ingenieure im Inland auszubilden. Denn um weiterhin zur Spitze der innovativsten Länder zu gehören, sind speziell in technischen Berufen gut qualifizierte Arbeitskräfte unerlässlich.