Stick to Science-Anlass zeigt: Europäische Forschungszusammenarbeit erodiert
Florian Hassler, baden-württembergischer Staatssekretär und Vertreter des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union, begrüsste die Gäste des hybrid durchgeführten Anlasses, welcher im Rahmen der «Stick to Science» Kampagne durchgeführt wurde. In seinen einleitenden Worten betonte er die Bedeutung der Schweiz als Partner in der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit. Gerade auch mit Baden-Württemberg befinde sich die Schweiz in einem gemeinsamen Wirtschafts-, Lebens- aber eben auch Forschungsraum. «Ich bedaure es sehr, dass die Schweiz ein nicht assoziiertes Drittland ist». Staatssekretär Hassler wünscht sich eine schnelle Lösung. Die anstehenden Wahlen in der Schweiz und in Europa könnten diese allerdings ausbremsen. Deshalb müsste man Horizon vielleicht unabhängig von der Diskussion zum Binnenmarktzugang angehen, denn der Ausschluss der Schweiz aus dem EU-Kooperationsprogramm schade auch ganz Europa».
Eine Lose-Lose-Situation
In der anschliessenden Podiumsdiskussion informierten Fabien Fivaz (Schweizer Nationalrat, Grüne), Prof. Dr. Michael O. Hengartner (Präsident des ETH-Rats), Prof. Dr. Kerstin Krieglstein (Rektorin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und Lukas Mandl (Mitglied des EU-Parlaments) über ihre Sichtweisen. Moderiert wurde die Diskussion durch Stephan Ueberbach (SWR Brüssel).
Die Diskussionsteilnehmenden waren sich im wesentlichsten Punkt einig: Die aktuelle Situation schadet sowohl der Schweiz als auch Europa. Prof. Dr. Krieglstein betonte die Netzwerke, die sich über Jahre hinweg aufgebaut haben und welche nun kaputt gemacht würden: «Jetzt behindern wir Forschung und Innovation in Europa. Die Forschung ist der Treiber der Innovation von ganz Europa.» Gerade im Forschungsgebiet der Personalisierten Gesundheit schade der Unterbruch in der Forschung nicht nur den Unternehmen, sondern auch der Gesundheit von uns allen. Prof. Dr. Hengartner bestätigte, dass die Arbeit für Schweizer Forschende schwieriger wurde und man mehr Mühe hat im internationalen Wettbewerb. Die Forschungszusammenarbeit erodiert und die Schweiz sieht sich nach anderen Partnern um, wie z.B. USA, UK, Südkorea oder Japan. Doch die Schweiz ist mitten in Europa und gehört zur europäischen Wertegemeinschaft. Fabien Fivaz pflichtete Prof. Dr. Hengartner bei und ergänzte, dass bei einer fortschreitenden Erosion auch Kräfte, welche sich für eine gute Zusammenarbeit einsetzten, weniger mit der EU arbeiten möchten.
Wissenschaft eignet sich nicht als Druckmittel der Politik
Sowohl Prof. Dr. Krieglstein wie auch Fabien Fivaz bedauerten, dass die Wissenschaft als Druckmittel eingesetzt wird, da dies beiden Seiten schadet. Lukas Mandl bekräftigte, dass es falsch war, die Vollassoziierung der Schweiz zu Horizon zu stoppen, und dass sich dies immer vehementer ausdrückt. «Europa muss selbst innovativ sein und selbst produzieren.», führte er weiter aus. Und dafür möchte er die Schweiz, als innovativstes Land der Welt, mit im Boot haben. Er macht das Problem bei den Exekutiven aus, zwischen welchen aktuell keine Verhandlungen stattfinden. Sowohl der Bundesrat wie auch die Kommission warten auf ein Signal der Gegenseite. Hier sieht er einen Anknüpfungspunkt für die Parlamente der Schweiz und der EU. Man müsste den Horizont erweitern und über weitere mögliche gemeinsame Win-Win-Szenarien sprechen – wie Sicherheitszusammenarbeit oder Kooperationen in der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedenssicherung.
Stillstand bedeutet Rückschritt
Eine Gefahr der aktuellen Situation für die Schweiz ist die Abwanderung oder Nichtansiedlung von Forschenden. Prof. Dr. Hengartner bestätigte, dass er einzelne Fälle kennt, bei welchen sich Forschende auf Grund der Nicht-Assoziierung gegen einen Arbeitsplatz in der Schweiz entschieden haben. Ein weiteres Risiko besteht in seinen Augen darin, dass wenn die Schweiz Strukturen mit anderen Partnern aufbaut, die Zusammenarbeit mit Europa langfristig geschädigt wird.
Wertebasierte Zusammenarbeit
Obwohl die Zeit, eine Lösung zu finden, drängt, und die aktuelle Situation unbefriedigend ist, zeigten sich die Diskussionsteilnehmenden am Ende der Veranstaltung optimistisch. «Die Schweiz ist das europäischste Land Europas.», argumentierte beispielsweise Prof. Dr. Hengartner. Vergangene Abstimmungen und Umfragen stimmen ihn zuversichtlich, dass die Schweizerinnen und Schweizer mit Europa zusammenarbeiten wollen.
Ein konkretes Beispiel für das Abwandern von Firmen und Forschenden als Folge des Verhandlungsabbruchs mit Brüssel lässt sich hier im Blick lesen.