Warum Reiner Eichenberger falsch liegt
Ökonom Eichenberger ist ein Hansdampf in allen Gassen. Kürzlich präsentierte er sich in der «Handelszeitung» als Experte für den Klimawandel («Nur wenige wünschen, dass es wieder 2,1 Grad kälter wird»). Wenige Wochen davor wollte er nachgewiesen haben, dass Velofahren umweltschädlicher sei als die Fortbewegung per Automobil, weil die Radler anschliessend mehr Fleisch verschlingen. Sein Lieblingsthema aber ist und bleibt das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Seit einem Jahrzehnt fordert er unentwegt, dieses aufzugeben und durch eine Zuwanderungsgebühr zu ersetzen. Denn die Kosten, welche die Migration verursache, seien viel zu hoch. Dass die Schweiz damit die Bilateralen verlieren würde? Vernachlässigbar, meint Eichenberger. Es brauche halt «kluge Pläne B» für deren Ersatz.
Diese Erzählung, für deren Verbreitung dem Freiburger Professor erstaunlicherweise immer wieder ganze Zeitungsseiten zur Verfügung gestellt werden, ist geprägt von Halbwahrheiten, reinen Behauptungen und Unterlassungen. Es würde zu weit führen, sie hier im Detail aufzuführen, deshalb beschränken wir uns auf die drei wichtigsten.
- Der Wert der einzelnen bilateralen Abkommen liegt keineswegs bei nahezu Null, wie Eichenberger insinuiert. Denn ansonsten hätten die Aussetzung der Forschungszusammenarbeit (Horizon), die Aussetzung der Zulassungsanerkennung für Medtech-Produkte und die Nicht-Aufdatierung des Landverkehrsabkommens im Bahnbereich nicht bereits jetzt massiven Schaden angerichtet, der laufend grösser wird. Das Wichtigste aber: Das ganze Konstrukt der Bilateralen ist ein extra auf die Schweiz zugeschnittenes Gesamtpaket, wie es die EU mit keinem anderen Staat ausgehandelt hat. Es hat unserer Exportindustrie bis jetzt eine nahezu hürdenfreie Teilnahme am grössten Wirtschaftsraum der Welt ermöglicht. Und die Schweiz hat davon nachweislich mehr profitiert als jedes andere Land – nicht nur insgesamt, sondern auch pro Kopf.
- Die Personenfreizügigkeit bringt uns genau jene Zuwanderung, die wir brauchen. Vier von fünf Personen, die auf diesem Weg in die Schweiz kommen, kommen als Arbeitskräfte. Bei der restlichen Zuwanderung aus Drittstaaten ist es genau umgekehrt: Nur eine von fünf Personen arbeitet. Macht es da Sinn, das funktionierende Modell über Bord zu werfen? Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer hat längst eingesehen, dass wir ohne Ärztinnen, Bauarbeiter, Servicekräfte oder Ingenieurinnen aus anderen europäischen Ländern unseren hohen Lebensstandard nicht aufrechterhalten könnten. Und das gilt für die Zukunft noch viel mehr, denn die einheimische Bevölkerung – und das blendet Eichenberger konsequent aus – ist stark überaltert. Jahr für Jahr wächst die Differenz zwischen der Anzahl Menschen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden und jener, die die Schweiz neu ausbildet.
- Es gibt keinen klugen Plan B. Dieser Illusion erlag auch England, als es den Brexit beschloss. Im Gegensatz zu Britannien ist die Schweiz sogar gänzlich umschlossen von EU-Territorium. Seit es die Eidgenossenschaft gibt, sind die umliegenden Regionen geografiebedingt unsere wichtigsten Handelspartner. Werden diesem Austausch Hindernisse in den Weg gelegt, hat das unweigerlich einen Wohlstandsverlust zur Folge. Daran können auch die ausgefeiltesten Freihandelsabkommen mit Ländern auf anderen Kontinenten nichts ändern – zumal es wegen wachsender Vorbehalte punkto Nachhaltigkeit und Menschenrechte kaum noch möglich ist, für solche Verträge in Volksabstimmungen Mehrheiten zu finden.
Eichenbergers Weg führt unweigerlich in eine Sackgasse. Seitens stark+vernetzt werden wir uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Schweiz eine andere Route wählt.